Nach dem Frühstück erst einmal ein Viertelstündchen
Fahrradpflege, der Vortag hat deutliche Spuren hinterlassen. Direkt
in Kruth geht die Forststraße zur Route des Crêtes los, die ich
gestern Nachmittag talwärts gebraucht hätte: breit, nicht allzu
holprig und mit kontinuierlicher, zahmer Steigung durchschnittlich
neun Prozent auf acht Kilometern, ohne nennenswerte Extrema.
Völlig entspannt erreiche ich nach ausgiebigen Foto-Pausen
die Kammstraße, der ich nun bis unterhalb des Grand Ballon folge,
was bei Seitenwind in Sturmstärke eine unerwartet große Herausforderung
darstellt. Die letzten paar Höhenmeter zum höchsten aller Vogesen-Gipfel
wären ohne Orkanböen problemlos zu fahren, aber bei derartigen Bedingungen
werde ich zum Spektakel wider Willen für die paar Dutzend Urlauber,
die sich um diese Jahreszeit noch im Auto oder mit Bussen an diesen
in Vogesenmaßstäben für den Massentourismus ausgelegten Ort verirren.
Nach einem zweiten Frühstück im Restaurant au Vue
des Alpes zumindest heute ein leeres Versprechen rolle
ich ein Stück auf der Straße zurück und biege dann auf einen holprigen
Wirtschaftsweg in Richtung Col de Judenhut ab. Der Weg wird immer
schlechter und steiler, aber die Abfahrt durch den wildromantischen
Wald bei ausnahmsweise prächtigem Wetter macht dennoch enorm Spaß.
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Am Col kann ich der Versuchung, ein Viertelstündchen
in der Sonne zu liegen, nicht widerstehen, bevor die spannende Abfahrt
ins Tal von Murbach weitergeht. Beim abgeschiedenen Hotel von St.
Barnabé erwäge ich kurz, die Tour schon abzubrechen, entscheide
mich aber angesichts der frühen Stunde und der auch für drei Sterne
gepfefferten Zimmerpreise dagegen schließlich habe ich ja
noch das gesamte Florival vor mir.
Dabei hätte mir die Erfahrung von gestern zu denken
geben müssen. Und siehe da: Im gesamten Haupttal bis Linthal ist
touristisch pantalon mort; eine oder zwei Auberges mit Ruhetag,
eine Gîte, bei der niemand zuhause ist, cest tout.
Was also tun? Keine Frage, Höhenmeter von Linthal
sinds ihrer noch 800 bis zum Markstein auf der Route des Crêtes,
und da habe ich heute morgen ein Hotel gesehen. Der Einfachheit
halber bleibe ich auf der Straße; das wird mühselig genug, als der
Wetterverantwortliche acht Kilometer unterhalb des Kamms mal wieder
beginnt, mich mit einer Sintflutsimulation zu beglücken.
Bis ich am Hotel ankomme, bin ich komplett eingeweicht.
Da ich allerdings erneut der einzige Gast bin, kann ich mir in der
Badewanne übern Flur viel Zeit lassen, bevor ich den Chef mit der
Herausforderung konfrontiere, einen hungrigen Vegetarier zufrieden
zu stellen.
56,6 km, 1965 Höhenmeter
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