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Elementarpeinlich
Dieses Buch ist dem Menschen
gewidmet, heißt es in der Nachrede von Michel Houellebecqs Elementarteilchen.
Nun mag man dem Menschen pauschal einiges vorwerfen können, aber ihm ausgerechnet
diese Literatursimulation zu widmen ist denn doch arg unfair.
Im Kern handelt es sich um eine harmlose
Kurzgeschichte über einen Wissenschaftler, der, als Nebenprodukt der sexuellen
Befreiung emotional minderbemittelt, seine gesamte Energie daran setzt,
ein geschlechtsloses Wesen zu klonen. Dieser zutiefst gesellschaftskritische
Ansatz wird wohl jeden beeindrucken, der die vergangenen drei Jahrzehnte
ohne Außenkontakt im Kellerverschlag verbracht hat. Doch um seinem Anliegen
ein noch breiteres Publikum zu erschließen, ließ Michel Houellebecq sich
etwas besonders Raffiniertes einfallen:
Sex.
Vorzugsweise in denjenigen Variationen,
bei denen die Mitwirkung eines lebenden Partners nicht erforderlich ist,
dann wieder in Gestalt fröhlicher Gruppenprogramme mithin all das,
dessen schriftliche Nacherzählung schon bei den seligen Beatniks
nur mäßig originell war und das hinter seinem rührenden Bemühen
um Provokation letztlich uneingestandene Spießigkeit erahnen lässt.
Immer jedoch in derart epischer Breite, dass die Kurzgeschichte auf veritables
Romanformat anschwillt, ohne dass die vielen bizarren Details dem Fortgang
der Handlung dienlich wären.
Zudem verfügt der Autor leider nicht
über das Mindestmaß an literarischen Ausdrucksmöglichkeiten, das nötig
wäre, der vorgeblichen unterkühlten Distanz zu seinem Sujet Glaubwürdigkeit
zu verleihen. So quält sich der Leser zwischen
vereinzelten Höhepunkten vulgärphilosophischen Raunens von Orgasmus-Panne
zu Orgasmus-Panne und weiß nicht, ob all dieser Blödsinn nun eine missglückte
Vivisektion gesellschaftlicher Realität oder doch nur Gebrauchspornografie
sein möchte.
Die interessantere Frage aber ist:
Weshalb fällt das deutsche Feuilleton immer wieder auf derartige Machwerke
herein? Ist es ein Pawlowscher Reflex, der Berufskritiker dazu bringt,
bei gleichzeitigem Auftreten der Vokabeln Fellatio, Mutter
und Tod in die Textbausteinschublade Meisterwerk
zu greifen, und wenn ja, wer hat diesen Reflex programmiert? Ist es die
Angst, womöglich als unmodern zu gelten, wenn man es wagt, talentfrei
produzierte Schmuddelware als solche zu bezeichnen? Oder ist es vielmehr
die reine Dankbarkeit des in der Banalität zeitgenössischen deutschsprachigen
Kulturschaffens erstickenden Rezensenten, dass die Literatur der Grande
Nation zumindest hin und wieder noch ein Skandälchen generiert?
Nachtrag, Spätsommer 2001
Michel Houellebecqs neuer Roman beschäftigt sich, hörte
ich, mit einem kleinen Beamten, der seinen sexuellen Neigungen im Thailand-Urlaub
nachgeht. Waren die Protagonisten von Elementarteilchen
in ihrer kollektiven Debilität noch halbwegs gleichberechtigt, so
kommt hier also das Motiv der Ausbeutung hinzu. Sage niemand, ein großes
Werk ließe sich nicht noch steigern
Wenn dieser Trend anhalten sollte, wagt man gar nicht darüber
nachzudenken, welche abgegriffenen Bürgerschreck-Szenarien Monsieur
Houellebecq für seine nächsten Ergüsse exhumiert. Eines
aber dürfte bereits sicher sein: An Kritikern, die seine Radikalität
in den literarischen Olymp faseln, wird es auch weiterhin nicht mangeln.
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