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Vom Egoismus der Unschuld

„It's not easy being green“
Kermit, der Frosch

Die Sensibilität der Deutschen für Umweltfragen scheint ungebrochen, wenngleich die öffentliche Präsenz der Ökologie zeitweise gegenüber Arbeitsmarkt oder Parteiengezänk Boden verliert. Grüne Problematik findet heute etwa in der Medienlandschaft längst nicht mehr nur auf den ungebleichten Seiten einschlägig betroffener Nischenblätter statt: Vielmehr schmeicheln Publikationen jeglicher Couleur dem Verantwortungsbewusstsein ihrer Zielgruppen, selbst Automobilclubs werden nicht müde, die Rettung der letzten ostdeutschen Alleen zu propagieren. Im Supermarkt setzt sich der Trend fort: Vom Sanitärreiniger bis zur Dosensuppe war das Sortiment nie so umweltverträglich wie heute. Und noch die Plastiktüte am Ausgang schmückt sich mit dem Hinweis, dass ihre mehrfache Verwendung zur Rettung des Planeten beitrage.

Ein derart üppiges Öko-Angebot lässt auf entsprechende Nachfrage schließen; doch allzu oft dient das vermeintlich verantwortungsbewusste Verbrauchsverhalten weniger der Umwelt als der Gewissensruhe von Anbietern wie Konsumenten. Zwar ist das Missverhältnis zwischen (vorgeblicher) Absicht und Wirkung nicht immer so offensichtlich wie im angesprochenen Fall des Alleenschutzes durch Förderung des motorisierten Tourismus. Doch auch der wohlmeinendste Zeitgenosse kann bei der alltäglichen Gratwanderung zwischen Bedürfnisbefriedigung und Ecological Correctness unverhofft abstürzen.

Etwa im Reformhaus, dem klassischen Treffpunkt umweltbewegter Lebensmittelkäufer. Hier ersteht man fair gehandelten Nicaragua-Kaffee, kontrolliert biologisch angebauten Honig aus Neuseeland und schadstoffgeprüften Brotaufstrich von kleinen Kooperativen rund um den Globus. Dieser Neo-Kolonialismus des schlechten Gewissens verbietet die Frage, ob es Alternativen aus regionaler Produktion gibt, für deren Transport nur ein Bruchteil an Energie aufgewendet werden muss. Wozu heimische Bauern unterstützen, wenn man fürs gleiche Geld auch einen peruanischen Indio fördern kann? So steigt dank westlicher Energieverschwendung der Wasserspiegel an Bangladeschs Küste weiter, und der Gelegenheitsgrüne beißt betroffen in seine Banane.

Auch in der Freizeit bieten sich dem Naturfreund zahlreiche Möglichkeiten, zu töten, was er liebt. Es ist noch nicht allzu lange her, da war in Naturschutzgebieten und Biosphärenreservaten die Welt noch in Ordnung: Sonntagsfahrer karriolten weiträumig drum herum, und außer ein paar verschrobenen Biologen verirrte sich kein Mensch in Regionen ohne engmaschige Fastfood-Versorgung. Doch der Ruf der Wildnis hallt in jüngster Zeit immer lauter durch die Großraumbüros, und Fuchs und Hase werden ihres Lebens nicht mehr froh. Denn einfach nur auf befestigten Wegen einen Berg zu erklimmen, womöglich noch mit Gepäck auf dem Rücken, ist wenig zeitgemäß und außerdem anstrengend. Wen ausgangs des zwanzigsten Jahrhunderts der Berg ruft, der lässt sich und sein Mountainbike von der Gondel in luftige Höhen expedieren. Was er dabei an Kraft spart, setzt er beim flotten Downhill mit potenziertem (Zer-)Störungspotenzial wieder frei: Gams und Grasnarbe lassen grüßen.

Ob Paragliding, Rafting oder Canyoning: Pauschalarrangements für untrainierte Adrenalinjunkies haben Hochkonjunktur. Und zwar je mehr, je üppiger sie mit einigen Häppchen unberührter Natur garniert sind. Zu dumm, dass diese Unberührtheit nach einer Saison dahin ist und die Adventure-Anbieter somit gefordert, zu neuen jungfräulichen Ufern aufzubrechen. Das aber wird immer schwieriger, dient doch mittlerweile selbst der Himalaya als Müllkippe für vermögende Möchtegern-Alpinisten, die sich und ihr Satelliten-Handy auf den Mount Everest tragen lassen. Bleibt zu hoffen, dass Charterflüge zum Mond eingerichtet werden, ehe der Outdoor-Industrie die Ideen ausgehen.

Die Einsicht allein, dass die Erde nicht primär als Abenteuerspielplatz für Homo sapiens konzipiert wurde, macht indes noch keinen Umweltschützer. Den meisten selbst ernannten Naturfreunden ist gemeinsam, dass sie nur das als schützenswert akzeptieren, wovon sie sich selbst ein Bild gemacht haben, und es fällt ihnen schwer, einer aussterbenden Spezies das Recht auf ein Refugium einzuräumen, wenn konsequenter Artenschutz es verbietet, dort hin und wieder ein Fernsehteam vorbeizuschicken.

Diese allzu menschliche Eigennutz-Mentalität ignoriert den Wert einzelner Lebewesen als Teil der Biodiversität und unterscheidet sie stattdessen nach ihren Entertainment-Qualitäten. In solchen Kategorien ist ein Berggorilla wertvoller als 150 Unterarten tropischer Spinnen, und nur aufgrund solcher Kategorisierung kann es dazu kommen, den industriellen Tunfischfang anzuprangern, weil er eine Bedrohung der ach so niedlichen Delfine darstellt: Hätte rechtzeitig ein TV-Produzent einen Tunfisch als Serienstar entdeckt, jedermann würde heute ohne Gewissensnot Delfin-Sandwiches essen.