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Genf — Route des Grandes Alpes — Nizza — Provence — Genf (1996)

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7. Etappe: Ste. Marie-de-Vars — Col de Vars — Jausiers — Cime de la Bonette — St. Sauveur sur-Tinée (112 km)

Wenn es auf dem Vars-Pass Schafe gäbe, hätte man Schottland auf 2000 Metern — eine sanftwellige, grüne Landschaft, die nach all den kahlen Bergriesen eine echte Erholung fürs Auge ist. Die Abfahrt ins Tal des Ubaye ist erfreulich abwechslungsreich, und dann geht es an den höchsten aller Alpenpässe. Nur: Man merkt es nicht! Die 1600 Meter Höhendifferenz ab Jausiers verteilen sich sehr homogen auf 24 Kilometer, und man kommt nie so richtig ins Schwitzen; eher ins Frösteln, wozu der heute bedeckte Himmel und die Festungsanlagen im oberen Bereich des Passes ihr Übriges tun. Außerdem sieht es rundherum schon gar nicht mehr nach Hochgebirge aus.

 
 

Die Bonette-Passhöhe selbst muss man eigentlich gar nicht fahren, denn es gibt auf gut 2700 Metern auch einen direkten Weg nach Südosten. Aber wenn man schon mal hier ist, nimmt man die paar Höhenmeter noch mit; man ist ja sonst eher selten mit dem Renner auf über Zwo-Acht. Die Fernsicht heute ist bescheiden, aber immerhin sehe ich weit unter mir die Kehren zum Col de la Cayolle: In Abwesenheit beeindruckender Gebirgspanoramen die einzige Möglichkeit, die erreichte Höhe zu ermessen.

Die Abfahrt ist so unspektakulär wie die Auffahrt, aber immerhin schön übersichtlich und obenrum kaum befahren, so dass sich reichlich Gelegenheit bietet, die Kurventechnik zu verfeinern. Ein bisschen Schlucht zwischendurch, und ab St. Etienne eher ödes Kilometerfressen.

Zum Hotel in St. Sauveur nur dies: Man kann nicht immer Glück haben … Immerhin ein wenig Gelegenheit zum Klönschnack mit einem hilfsmotorisierten Tübinger Pärchen, dazu etwas mehr vin rouge als sonst.

 

8. Etappe: St. Sauveur sur-Tinée — Col St. Martin — Col de Turini — Lucéram — Drap — Nizza (119 km)

Ein traumhafter Tag in Rennradlers Wunderland: Die Seealpen sind für Serpentinenfreunde pure Wonne. Eis und Schnee sind passé: Unterwegs zum Col St. Martin beginnt man es zu merken, und spätestens bei der Abfahrt ist die Wäsche auf den Balkons, sind die Motorroller und Pinien nicht mehr zu übersehen. Ich bin im Süden … Und die deutlich spürbare Leichtigkeit beflügelt für den Col de Turini: Ein Prachtstück von Straße, auf 15 Kilometern bzw. 1100 Höhenmetern eine steile Rampe über der anderen.

 
 

Und die Abfahrt erst: Aus so vielen engen Kürvlein werden andernorts fünf Passstraßen gestrickt. Dank der Nähe zur Côte wird der Spaß leider von dem einen oder anderen wilden Ferrari-Piloten getrübt; einschlägige Szenen in gewissen Bond-Filmen sind, ich schwör’s, nur geringfügig übertrieben.

Bei Drap bin ich leider schon klatschnass — Abendgewitter. Trotzdem fahre ich bis Nizza weiter. Und dort erst noch 20 Kilometer durchs Dorf, weil einfach nix beschildert ist. Nicht mal die Autobahn als solche, auf die ich mich prompt gleich zwei Mal verirre. Zu keinem Zeitpunkt sehe ich das Mittelmeer; aber wie sich nach Dusche und Kleiderwäsche im Hotel herausstellt, bin ich unmittelbar an der Promenade gelandet. Nach dem Abendessen ist also problemlos noch ein Strandspaziergang drin.

 

9. Etappe: Nizza — Gorges du Loup — Gréolières — Comps-sur-Artuby (97 km)

Ich lasse auch heute in Nizza nichts aus: Autobahn, Flughafen, alles gesehen; hier kann man sich beim besten Willen nicht orientieren. Bei den Gorges du Loup wird es ruhig, schattig und schön (wenn auch unspektakulär). Der Rest des Tages ist ein einziges Auf und Ab durch die Montagne de l’ Audibergue; ein ehrlicher 2500er ist mir lieber.

Angesichts des schlechten Wetters (schwül, gewittrig, regnerisch) ist in Comps-sur-Artuby schon Schluss. Zum Glück: Denn das Grand Hôtel Bain, in dem ich absteige (liest sich teurer, als es ist), hat eine formidable Küche; angefangen bei der Gratinée à l’ Oignon, welche nochmals zwei Klassen besser ist als die bereits leckere Zwiebelsuppe neulich in Ste. Marie, bis hin zur Mousse glacée au Grand Marnier, die ich ohne weiteres dreimal täglich haben könnte.

 

10. Etappe: Comps-sur-Artuby — Canyon du Verdon einschließlich Route des Crêtes — Castellane (117 km)

Der Verdon ist unbeschreiblich, deshalb versuche ich es hier erst gar nicht. Diese Runde muss man als Radler einfach mal gedreht haben, denn viel schöner ist es in Europa sonst nirgends.

 
 

Leider bin ich nicht der Einzige, der so empfindet, weshalb ich nach einer langen, schweren Etappe erst im dritten Hotel von Castellane ein Zimmer finde. Das Gastro-Angebot ist in diesem Touri-Nest auch nicht so hochwertig wie das gestrige, aber immerhin reichhaltig.

 

11. Etappe: Castellane — Demandolx — St. Auban — Col de St. Raphaël — Entrevaux — Gorges de Daluis — Entraunes (125 km)

Die ersten 50 Kilometer des Tages sind die pure Entspannung: Außer ein paar Serpentinen bis Demandolx nur ruhiges Dahinradeln auf sanftwelligen, fast völlig leeren Sträßchen. Einen Platzregen will ich unterm Baum abwarten, da werde ich von einer Bauersfrau aufgelesen und in ihr kleines Heim hineinkomplimentiert. Über Porto und selbst gebackenem Früchtebrot radebrechen wir uns über Landwirtschaft, Journalismus und Xenophobie beiderseits des Rheins die Köpfe heiß, bis der Regen nachlässt.

In Entrevaux mit seinem schnuckligen Vauban-Stadtbild gönne ich mir noch mal ein Picknick, bevor ich die Gorges de Daluis in Angriff nehme. Phänomenal! Selbst nach der Verdon-Erfahrung des Vortages sind diese purpurroten Felsformationen in der Abendsonne ein echtes Highlight.

 
 

Guillaumes ist leider ausgebucht, aber man reserviert mir freundlicherweise ein Zimmer in Entraunes, was vor dem üppigen Abendessen nochmal 500 ungeplante Höhenmeter mit sich bringt. Aber mittlerweile bin ich gut im Saft und schaffe die 17 Kilometer bergauf in unter einer Stunde.

 

12. Etappe: Entraunes — Col de la Cayolle — Col d’Allos — Col des Champs — Entraunes (119 km)

Eine flotte Rundtour ohne Gepäck; auch mal schön. Die drei Zweitausender des Tages zählen zwar nicht zu den ganz großen Pässen der Alpen, sind aber jeder für sich einen Abstecher wert.

 
 

Außer ihren landschaftlichen Reizen (vor allem der Cayolle ist ausgesprochen romantisch) haben sie speziell für Pass-Anfänger den Vorteil, abseits der Hauptrouten zu liegen und entsprechend wenig befahren zu sein.

 

13. Etappe: Entraunes — Gorges de Daluis — Annot (47 km, halber Pausentag)

Nach den Strapazen der letzten Tage mal ein wenig Ausspannen, indem ich einfach nur durch die Gorges zurückrolle, viel fotografiere und mir im nächsten ernsthaften Dorf schon wieder eine Unterkunft suche. Von Annot fährt mich dann ein Bummelbähnchen nach besagtem Entrevaux, wo ich ausgiebig das Stadtbild sowie das kulinarische Angebot goutiere.

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