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Bischofswiesen — Großglocknerstraße — Defereggengebirge — Zillertal — Timmelsjoch — Garmisch (1999)

 

Prolog: Bischofswiesen — Ramsau (12 km)

Kaum der Erwähnung wert, aber bis Ramsau fährt nun mal kein Fernzug. Und am Hotel Hochkalter sollte man nicht vorbeifahren: Der Wellnessbereich mit großem Pool ist nach einem langen Tag in der Bahn nicht zu verachten. Sehr freundlich ist man da auch, es gibt eine gute Küche, was will man mehr zum Urlaubsauftakt?

 

1. Etappe: Ramsau — Hirschbichl — Zell am See — Großglockner-Hochalpenstraße — Wallackhaus (95 km)

Gestärkt von einer opulenten Müesli-Auswahl, nehme ich gleich zu Beginn eine der härteren Steigungen des Alpenraums in Angriff. Eine halbe Stunde darf man sich auf der Hirschbichl-Straße locker einrollen, dann wird man mit 500 Metern Weges à 23 Prozent Steigung konfrontiert. Mit meiner 39/26-Übersetzung schaffe ich es bis zur Hälfte, dann verreiße ich minimal den Lenker, muss anhalten — und schaffe es nicht mehr, wieder anzufahren. Na gut, wer sein Velo liebt …

Die Abfahrt ist stellenweise sogar noch steiler. Beschildert sind sage und schreibe 30%. Und wenn man eine extrem steile Straße mehr runterbremst als -fährt, und plötzlich kippt die Fahrbahn weg, ist man geneigt, das zu glauben.

Im Tal Richtung Zell ist sehr viel motorisierter Verkehr unterwegs, so dass ich mich selbst als notorischer Radweghasser über die asphaltierte Nebenstrecke auf dem Tauernradweg freue. Im Dorf gibt es dann noch einen Apfelstrudel zur Stärkung; hilft aber auch nichts: Die Glocknerstraße ist zwar nicht steil, aber auf der gesamten Länge (immerhin 32 km Anstieg) machen mich biestig-kalter Nieselregen und Gegenwind mürbe, bis zum Hochtor geht eine ganze Packung Dextrose drauf. Zum Glück gibt es kurz hinter der Passhöhe das Wallackhaus mit Gästezimmern und Gastronomie, denn auf Dauerfrieren bei der Abfahrt habe ich heute keinen Appetit mehr. Außerdem sind Übernachtungen auf über 2000m einer der Reize des Alpenradelns.

 

2. Etappe: Wallackhaus — Lienz — Staller Sattel — Toblach — Leisach bei Lienz (203 km)

Schade: Fernsicht beim Aufstehen negativ. Wofür bin ich so weit oben? Egal, auch neblige Berge sind fotogen.

 
 

Das erste Pässchen des Tages (Iselsberg, nur ca. 250 Hm) läuft gut, deshalb nehme ich nach einem zweiten Frühstück in Lienz den Staller Sattel in Angriff. Das bedeutet zunächst mal rund 50 km Steigung, allerdings mit deutlich weniger Höhenmetern als der Großglockner und entsprechend über weite Strecken sehr sanft. Somit kann ich gemütlich die Gegend betrachten; gut so, denn das Defereggental ist ein Prachtexemplar alpiner Landschaft.

Am Talschluss gibt es immerhin noch fünf Kilometer richtiger Steigung bis zur Passhöhe, wo ich eine Weile auf die Erlaubnis zur Abfahrt warten muss: Die Straße ist im oberen Bereich nur einspurig, weshalb sie von hier nur 15 Minuten pro Stunde freigegeben ist. Die Geduld wird jedoch belohnt: Von einer traumhaften Serpentinenschlängelei auf picobello Belag, ab Zweispurigkeit gefolgt von unbeschwertem Sausen gen Pustertal.

Von Ferragosto habe ich schon mal was gehört; aber dass an einem Werktag Mitte August in Italiens Urlaubsgebieten wirklich kein einziges Bett zu haben ist, damit habe ich nicht gerechnet. Eigentlich soll die Etappe nur bis etwa Toblach gehen. Aber letztlich werde ich erst kurz vor Lienz fündig (nachdem mich noch ein Plattfuß und ein Gewitter kurzzeitig ausgebremst haben). Gut, dass die Etappe nicht allzu viel Kletterei hatte (nur rund 2000 Höhenmeter), sonst wären über 200 Kilometer für’n zweiten Tag entschieden zu viel gewesen.

 

3. Etappe: Leisach — Lienz — Felbertauern — Mittersill (67 km, halber Pausentag)

Immerhin: Die ersten 20 Minuten des Tages regnet es nicht. Danach umso heftiger. Schon in Huben (wo ich gestern zum Staller Sattel abgebogen bin) bin ich klatschnass. Teils auf Schotter weiter nach Matrei und zum Felbertauerntunnel. Der ist für Radler gesperrt — würde aber auch keinen Spaß machen —, doch auf der Ladefläche eines Kleinlasters komme ich schnell durch die enge Röhre.

Auf der anderen Seite leider immer noch Sauwetter, deshalb ist in Mittersill die Etappe schon zu Ende. Das Sporthotel Kogler gewährt dem triefenden Radler Sonderkonditionen für ein äußerst üppiges Zimmer, und bis es im Laufe des Nachmittags aufklart, wird halt geschwommen statt geradelt.

Angesichts dessen, dass morgen um kurz nach 11 Uhr die Welt untergehen soll (dann ist nämlich die Jahrhundert-Finsternis), gönne ich mir abends ein opulenteres Essen, als es die winzige Etappe rechtfertigen würde. ;-)

 

4. Etappe: Mittersill — Königsleiten — Zillertal — Sistrans — Ellbögen (140 km)

Wieso stelle ich den Wecker auf Viertel vor Sechs, wenn es dann doch wieder regnet? Werde ich heute eine ganztägige Sonnenfinsternis beobachten können?

Nein, so schlimm wird es dann doch nicht. Im Gegenteil: Ich erlebe eine sogar neue Folge der Reihe „Schöner schwitzen auf den Traumstraßen der Alpen“. Die Rede ist hier von der alten B165 von Wald im Pinzgau nach Königsleiten. Über weite Strecken 17-prozentig, kurzzeitig auch 20%, lange einspurig, prima Blick auf die Krimmler Wasserfälle, überhaupt schicke Landschaft.

Die totale Eklipse bewundere ich vom Speicher Durlaßboden aus, bevor es bei stets zunehmendem Verkehr runter ins Zillertal geht. Woher das seinen guten Namen hat, ist mir rätselhaft: breit, eher kitschig als lieblich und völlig überlaufen. Für so was hat mein Rennrad die Spinaci-Stummelhörnchen. Im Inntal im Prinzip das Gleiche, nur noch nicht mal ansatzweise schön; so werden es 50 Kilometer Zeitfahren mit Gepäck.

Bei Volders verlasse ich die Bundesstraße, um die Nebenroute Richtung Brenner anzugehen, und sofort wird es wieder reizvoller. Ein ständiges Auf und Ab auf schmalen Sträßgens, der Hauptverkehr ist weit genug entfernt, um nicht zu stören; in den pittoresken Dörfern steht Frau Wirtin noch im Eingang der „Post“ und grüßt den passierenden Radler. In Ellbögen habe ich wieder mächtig Glück mit der Unterkunft, bekomme im Gasthof Neuwirt ein niedliches Zimmerchen unterm Dach.

 

5. Etappe: Ellbögen — Brenner — Jaufenpass — Timmelsjoch — Zwieselstein (118 km)

Der Rest des Brenners fährt sich auch auf den relativ welligen Nebenstraßen nahezu von selbst. Gut so, denn lange mag man den Blick auf die multiplen Verkehrsadern im Haupttal auch gar nicht ertragen.

Mit Aussicht geizt auch der Jaufen, zumindest bis 2 km unterhalb der Passhöhe. Aber da hier im Gegensatz zum Brenner praktisch nichts los ist, ist die Fahrerei recht entspannt. Ins Passeiertal hinunter wird landschaftlich sogar richtig was geboten.

Der Höhepunkt dieser Etappe, nicht nur topografisch, ist zweifellos das Timmelsjoch. Allerdings gehen die gerade mal 27 km von St. Leonhard bis zum Scheiteltunnel mächtig an die Substanz, weil ich bei ständig wechselnden Steigungsgraden (allerdings maximal nur 13%) partout keinen Rhythmus finde. Ständig wechselt auch das Panorama — langweilig wird es auf dieser Straße nie.

Leider hat sich auf der österreichischen Seite des Tunnels ein prima Wolkenbruch festgesetzt; im Restaurant lässt sich dieser nicht aussitzen, weshalb ich mir bereits in Zwieselstein eine (Privat-)Unterkunft suche.

 

6. Etappe: Zwieselstein — Ötztaler Gletscherstraße — Imst — Linserhof (93 km)

Trotz sehr tief hängender Wolken wage ich vor der Abfahrt durchs Ötztal noch die Auffahrt zur Gletscherstraße. Dort wird mir zunächst ziemlich schnell warm; kein Wunder bei einer Durchschnittssteigung von gut 10% auf 13 Kilometern. Diese steile Straße erschließt eine über weite Strecken unglaublich schöne Landschaft, die im oberen Bereich allerdings dem Gletscherskibetrieb zuliebe ziemlich verbaut ist. Auch ich werde jedoch Nutznießer der Autobahnraststätte am Lift, nachdem ich zuvor bei einem Abstecher durch einen 1700 Meter langen Tunnel und wieder zurück mächtig gefroren habe. Die enge, gen Süden ansteigende, verflixt glatte und eiskalte Röhre würde an klareren Tagen als heute wohl ein schickes Panorama Richtung Italien erschließen.

 
 

Für Statistikfreunde hält der Tunnel immerhin das Schmankerl bereit, dass sein Südportal auf 2829 Metern Höhe liegt. Viel höher dürfte man in den Alpen auf Asphalt nicht mehr kommen.

Am frühen Nachmittag bin ich erst wieder unten im Ötztal, wo sich die weitere Abfahrt eher zäh gestaltet: zwei bis drei Prozent Gefälle, dabei der obligatorische Gegenwind. Das macht so wenig Spaß, dass ich kurzzeitig versucht bin, heute noch bis zum Touren-Endpunkt Garmisch weiterzusausen. Aber das würde Fernpass bedeuten, und diesen Highway bin ich vor Jahren ein einziges Mal gefahren und möchte das nie wieder tun müssen. Deshalb biege ich in Imst Richtung Hahntennjoch ab, was für morgen noch einen attraktiven Ausklang der Reise verspricht.

Ein paar Kilometer hinter Imst lockt der Linserhof den müden Strampler. Nach den dicken Wolken der letzten Tage bin ich heute gern bereit, für ein Panorama wie dieses

 
 

vom eigenen Balkon aus ein wenig mehr zu zahlen. Außerdem ist die Speisekarte, im Alpenraum ja nicht selbstverständlich, auch für Vegetarier außerordentlich attraktiv.

7. Etappe: Linserhof — Hahntennjoch — Namloser Tal — Plansee — Ammersattel — Garmisch (125 km)

Eingangs des Hahntennjochs steht ein Schild, das vor den Risiken der „extremen Hochgebirgsstraße“ warnt. In Relation zum benachbarten Fernpass mag das angemessen sein, verglichen etwa mit mancher Piste im frz./ital. Grenzgebiet ist dieser Pass eher zahm. Keinesfalls jedoch langweilig, schließlich ist er eingebettet in eine wunderbare Landschaft.

Die Abfahrt nach Westen bietet nochmals viel Fahrspaß auf schmalen Serpentinen; ebenso lustvoll gestaltet sich die langgezogene Achterbahnfahrt durch das Namloser Tal, nur unterbrochen von einer anständigen Portion Kasspatzen in einem Gartenrestaurant in Berwang.

Der Rest ist Sausen: Auf der Bundesstraße bis Reutte sowieso, aber auch entlang des Plansees, hinauf zum Ammersattel und über Ettal nach Garmisch. Die Hitze ist stark, die Sicht aufs Ammergebirge bei starkem Dunst mäßig, und die Vorfreude auf einen letzten lauen Abend in einem echten Biergarten, bevor es nach Norddeutschland zurückgeht, lässt mich die finalen topografischen Hindernisse des Tages überwiegend auf dem großen Kettenblatt hinter mich bringen.