Startseite Wort und Satz

Startseite Bergauf
 

Schweiz 2003, Teil 2

Zum 1. Teil

Thun – Justistal – Beatenberg – Habkern – Interlaken – Grindelwald; 59 km, 1550 Hm

Heftiger Regen schon zum Frühstück; nach einer Viertelstunde auf dem Rad bin ich pitschnass. In Aeschlen steht die heutige Entscheidung zwischen Gelände und Straße an, und da es rundum ziemlich dunkel aussieht, entscheide ich mich schließlich für die bereits bekannte Asphalt-Variante durch das Justistal. Immerhin reißt an der entscheidenden Stelle, kurz vor dem Tunnel, die tiefhängende Wolkendecke etwas auf und gibt den Blick frei auf das satte Türkis des Thunersees weit unter mir.

In Beatenberg gibt es ein zweites Frühstück nebst Expertengespräch mit der radreiseerfahrenen Kellnerin. Auf ihren Rat hin fahre ich nicht gleich nach Interlaken ab wie auf der 1998er Tour, sondern nehme noch den Schlenker nach Habkern in Angriff. Das bringt einige mäßige Steigungen extra bis auf 1400m Höhe, vor allem aber wunderschöne Blicke ins Land.

Da ich für den Rest der Etappe durchaus noch mal mit Regen rechne, lasse ich den Drahtesel nach Interlaken hinab einfach nur rollen, halte mich im Tal erst gar nicht auf und bleibe, obwohl bereits in Interlaken eine Radroute Richtung Grindelwald beginnt, tempohalber die ersten paar Kilometer auf der Straße. Da diese aber stark befahren ist, nehme ich ab Gsteigwiler doch lieber die Velo-Nebenstrecke. Das ist zwar, wie ich schon von früher weiß, nichts für notorische Kilometerfresser, weil die Route im Gegensatz zur Fahrstraße mal wieder jeden einzelnen Hügel mitnimmt und dabei stellenweise ausgesprochen steil wird, aber man hat wenigstens seine Ruhe.

Eine halbe Stunde vor Grindelwald erwischt mich tatsächlich noch mal das schlechte Wetter. Ein Grund mehr, mir heute mal so etwas wie Wellness zu gönnen. Deshalb fahre ich kurz entschlossen beim ersten Haus am Platze vor, der Viersterneherberge Sunstar. Das zuvorkommende Personal kann sich zwar zunächst nicht recht entscheiden, wo man hier ein nichtmotorisiertes Fahrzeug parken kann, aber ansonsten fühle ich mich trotz (oder gerade wegen) denkbar großer Kontraste zur vorvorigen Nacht durchaus wohl hier. Vor allem im Swimmingpool, wo ich den Rest des Nachmittags verbringe, bevor zwecks Feinplanung der morgigen Etappe ein Besuch der Tourist Information ansteht.

Grindelwald – Firstalm – Große Scheidegg – Innertkirchen – Engstlenalp; 54 km, 2450 Hm

Bedeckt, aber trocken zum Frühstück. Da ich die Fahrstraße zur Großen Scheidegg bereits kenne, entscheide ich mich zunächst für eine der schwarzen, also angeblich schweren regionalen MTB-Routen – meist parallel zur Seilbahn hinauf zur Firstalm. Eine gute Wahl:

Bis zum Berghaus Bort ist die Strecke zwar arg steil (auf den ersten 4,8 km zeichnet mein Compi durchschnittlich 12% und maximal 32% Steigung auf), aber asphaltiert, und bei feinem Nieselregen rollt es gut. Die ersten unbefestigten Serpentinen sind dann tatsächlich knackig; vermutlich müsste ich hier auch ohne Reisegepäck stellenweise schieben. Aber die phänomenale Aussicht hinüber zur Scheidegg ist die paar Schweißtropfen allemal wert. Beeindruckend heute auch der ständige Wechsel des Lichts durch die schnell ziehenden Wolken.

Spätestens ab Schreckfeld ist die Schotterpiste wieder gut fahrbar, die letzten 200 Höhenmeter zur Firstalm spielend leicht. Diese Teilstrecke ist zwar eine Sackgasse, denn hinter der Alm herrscht striktes Veloverbot, aber erst ganz oben erschließt sich der Blick nach Westen. Die Firstalm selbst ist kein sonderlich gastlicher Ort (Fahrrad abstellen in Sichtweite der Panoramaterrasse verboten), deshalb schnell weiter auf dem Höhenweg zur Scheidegg. Dort wärme ich mich erst mal ein wenig auf, bevor es auf die holprige Abfahrt nach Innertkirchen geht, dunkle Wolken im Nacken. Im Tal holen sie mich ein …

Freundlicherweise hat die heute geschlossene Tourist Information in Innertkirchen in einem großzügig überdachten Bereich ein Sortiment mit Unterkunftsbroschüren für die Region ausgelegt – kein Problem also, telefonisch ein Zimmer im Hotel Engstlenalp vorzubuchen. Eine halbe Stunde gebe ich dem Wetterbeauftragten dann noch, die ich im Café gegenüber aussitze. Aber da keinerlei Aufklaren absehbar ist, rolle ich dann doch los. Geht ja heute nur noch bergauf, frieren werde ich also nicht.

Im unteren Teil des Susten und noch bis 1200 Meter hält der Regen an, aber just bevor ich den Wald verlasse, wird es doch noch mal trocken. So kann ich das Gental, dieses Vorzeigeexemplar romantischer Schweizerlandschaft, rundum genießen, nur die glitschigen Weideroste auf der ansonsten unproblematischen Straße erfordern Konzentration.

Am Talschluss wird es wieder nasskalt, so zieht sich der verbleibende Anstieg unangenehm in die Länge. Umso erfreulicher, dass sich das familiäre Hotel Engstlenalp als überaus gemütliches Refugium erweist und obendrein eine hervorragende Küche hat. Vor dem opulenten Abendessen erlaubt das wieder aufklarende Wetter sogar noch einen Spaziergang zum Enstlensee, dessen felsige Umgebung ein Dorado für Kletterer sein dürfte.

Engstlenalp – Bidmialm – Hasliberg – Brünigpass – Lungerersee – Glaubenbielenstraße – Entlebuch; 87 km, 1650 Hm
Wieder mal macht mir das Wetter einen Strich durch die Tourenplanung: Eigentlich hatte ich meinen Packesel heute über den Jochpass schieben wollen, um über Engelberg weiterzufahren. Aber dagegen sprechen die Niederschläge aus der vergangenen Nacht: Bis runter auf 2000 Meter sind die Höhen weiß gepudert, und unterhalb dessen regnet es auch nach dem Frühstück noch in Strömen. Auf eine Schlammschlacht kann ich gut verzichten, deshalb rolle ich erst einmal ins Gental zurück. Ganz runter will ich aber nicht, biege lieber zur Bidmialm ab und fahre auf einer schmalen, sanftwelligen Asphaltstraße nach Hasliberg. Längerem Aufenthalt in einem dortigen Café steht die Beschallung mit einer Endlosschleife aus hirnzersetzender Hansi-Hinterseer-Lala im Wege, also bei glücklicherweise nachlassendem Regen schnell weiter zum Brünigpass und auf die Hauptstraße nach Luzern.

Ab dem Lungerersee, dessen geschotterten Uferweg ich der stark befahrenen Straße vorziehe, klart es auf, und rechtzeitig zum Einstieg zur Glaubenbielen-Panoramastraße lässt sich sogar die Sonne wieder blicken, so dass ich auf dieser topographisch eigentlich wenig herausfordernden Strecke gehörig ins Schwitzen komme. Dazu trägt allerdings auch bei, dass ich hin und wieder von der Straße auf den abkürzenden, entsprechend steileren Wanderweg abbiege, weil immer nur Asphalt auf Dauer öde ist.

Nachdem heute erst Winter und dann Sommer war, hält auf der Passhöhe kurzeitig der Herbst Einzug, für die üppige Abfahrt längs des Brienzer Rothorns muss ich mich dick einmummeln. Hinter Sörenberg wird die Landschaft leider recht langweilig, insofern setze ich zunächst keine übersteigerten Erwartungen in die letzte Unterkunft dieser Tour. Umso angenehmer ist die Überraschung, als ich beim Hotel „Drei Könige“ in Entlebuch fündig werde. Das Zimmerchen ist unspektakulär und preisgünstig, doch die Küche des Hauses erweist sich als überaus inspiriert. Ein so feines Abendessen wie diese Ravioli von getrockneten Tomaten in Pesto-Rahmsauce, gefolgt von einem kleinen, aber feinen Bergkäseteller, habe ich unterwegs noch selten genossen, überhaupt umfasst die Speisekarte etliche interessante Pasta- und Gemüsegerichte; dabei liegen die Preise kaum höher als in einer beliebigen Röstibrutze.

Entlebuch – Glaubenbergpass – Schlierental – Chrüzliegg – Alpnach – Luzern; 61 km, 1300 Hm

Nach einem ausgedehnten Frühstück wärme ich die Muskulatur bei noch gutem Wetter am überaus beschaulichen, sehr leicht zu fahrenden Glaubenbergpass auf, um mich dann kurz hinter der Passhöhe dem abschließenden landschaftlichen Highlight zuzuwenden. Anfangs noch asphaltiert, später zunehmend grob geschottert folgt die Straße dem Verlauf des Schlierengrats durch ein reizvolles Hochmoor; einer viertelstündigen Schiebepassage auf einem schmalen Waldpfad schließt sich eine steile Schotterpiste bergauf nach Chrüzliegg an. Hier beträgt die Sicht zeitweise nur noch zwanzig Meter; vom Pilatus, an dessen Flanke ich unterwegs bin, ist überhaupt nichts zu sehen.

Die finale Abfahrt der Tour beginnt bei Ällgäu mit einem kurzen Stück holprigen Wiesentrails von 40% Gefälle, um dann in eine sehr schmale, anfangs noch geschotterte und wunderbar kurvenreiche Straße durch den Wald überzugehen: Rund 1000 Höhenmeter reinsten Genusses hinab nach Alpnachstad. In krassem Gegensatz dazu stehen die letzten 15 Kilometer bis Luzern, die trotz stetiger Ufernähe schon wieder bestens auf den heimischen Verkehrswahnsinn vorbereiten …

Zum 1. Teil