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Mittelhochdeutsch: Tag für Tag


Einleitung

Keinen Plan zu haben, das war der Plan. Nicht völlige Planlosigkeit, bewahre; zumindest den Urlaubsplan der Abteilung sollte ein abhängig Beschäftigter im Hinterkopf behalten. Somit stand zumindest fest, ich würde genau eine Woche Zeit haben für die Strecke Hamburg-Passau, und am Abend des siebenten Tages würde ich den Nachtzug zurück nach Hamburg erreichen müssen. Aber mehr hatte ich nicht geplant, als ich sonntags nach dem Frühstück in den Sattel stieg. Ganz grob Richtung Südosten, irgendwie würde ich ankommen.

Das Zelt blieb angesichts schauriger Wettervorhersagen daheim, und fürs Hinterrad hatte ich schnell noch ein Schutzblech montiert. Wechselklamotten, eine kleine Kameraausrüstung und etwas Proviant brachten 15 kg auf die Waage; damit sollte sich das Rennrad auch noch auf unbefestigten Wegen gut bewegen lassen. Als Karten waren drei Großblätter 1:300.000 für zusammen ganz Deutschland dabei sowie eine 1:750.000er Straßenkarte für den groben Überblick. Vor Ort würde ich auch noch mit dem Kompass improvisieren können.


Tag 1: Von Hamburg in die Heide

Wo die Elbe queren? Da mir nicht der Sinn nach Großstadtverkehr stand (den habe ich allwerktäglich zur Genüge), ging es östlich an der Metropole vorbei und bei Geesthacht über die Staustufe. Die winzigen Sträßchen durch die Winsener Marsch fielen bereits in die Kategorie "Improvisation", ebenso der hübsche Treidelpfad längs der Ilmenau nach Lüneburg.

Nach einer Kaffeepause hielt ich mich zunächst an den Radfernweg Weser-Harz-Heide, aber da dieser außerhalb der Stadt keinen erkennbaren Vorteil gegenüber allen anderen Landstraßen bot, folgte ich bald wieder meiner Nase. Um dem permanent kräftigen Gegenwind zumindest temporär zu entkommen, nahm ich einige Male Sand- und Schotterwege durch den Wald, was dank brauchbarer Wanderer-Wegweisung in der Heide nie ein Problem war.

Nach einigen Stunden in reizvoller, dünn besiedelter Landschaft empfahl sich Hankensbüttel als Etappenziel. Das Hotel "Linde" hatte für mich ein einfaches, preisgünstiges Zimmer, vor allem aber bot es eine überaus inspirierte Küche, die ich in dieser Qualität hier niemals erwartet hätte.

160km, 600 Höhenmeter


Tag 2: Von der Heide in den Harz

Noch ein wenig entspanntes Auf und Ab durch die Südheide, dann wieder Kämpfen mit dem kräftigen Gegenwind im Allertal. Und bevor es in den Harz ging, stand noch die Durchquerung des Stadtgebiets von Salzgitter an, wohl eines der letzten Abenteuer, denen sich der Radfahrer in Europa stellen kann:

Die innerörtliche Wegweisung richtet sich hier ausschließlich an Kfz-Führer mit Präferenz für Schnellstraßen, die Ampelschaltungen grenzen aus der Perspektive des nichtswürdigen Selbstbewegers an Menschenrechtsverletzungen, und Fuß-/Radwege datieren, soweit vorhanden, aus einer Zeit vor Erfindung des Verbrennungsmotors (zumindest legt das ihr allgemeiner Erhaltungs- und Überwucherungszustand nahe, der passagenweise den Wunsch nach einem Buschmesser weckt).

Doch, da ist ein Radweg.

Das Harzvorland empfing mich mit ausdauerndem, heftigem Gewitterregen, was allerdings auch den finalen Anstieg weniger schweißtreibend machte: An der Innerste-Talsperre vorbei ging es als erste Herausforderung der Tour von Lautenthal auf der kürzesten, steilsten Route hinauf zum Gebirgskamm. Dort versteht sich das Sonnenhotel Kreuzeck zwar primär als All-Inclusive-Paradies für Familien mit kleinen Kindern, aber auch für den spontanen Einzelgast fand sich ein üppig großes Zimmer und fürs Rad ein trockener Platz in der Tiefgarage.

140 km, 900 Höhenmeter


Tag 3: Durchs Eichsfeld zum Hainich

Die Harzhochstraße ist jedes Mal aufs Neue langweilig: autobahnähnlich ausgebaut und wegen des dichten Waldes ohne jede Fernsicht. Leichter Dauerregen machte die Strampelei auch nicht attraktiver; nach einigen Kilometern bog ich daher auf einen Wanderweg Richtung Hanskühnenburgklippe ab. Anfangs noch eine sanft abfallende Forststraße, ging der Weg alsbald in eine felsige, matschige Kletterpartie über, fast eine Stunde lang waren Tragen und Schieben angesagt. Derart rustikale Einlagen erhöhen für mich den Reiz einer Radwanderung, aber ich weiß schon, warum ich lieber allein auf "Rennradtour" gehe.

Nach einer geradezu spektakulären Abfahrt auf unten wieder asphaltierter, aber sehr schmieriger Piste (die "Marathon Racer" sind unter solch widrigen Bedingungen die besten Reifen, die ich je auf dem Renner hatte) fand ich mich ich an der Sösetalsperre wieder und rollte am Südrand des Harzes nach Herzberg. Nach einem zweiten Frühstück war bis Rhumspringe zunächst Kilometerfressen auf einer jener panoramafreien Ex-Feldbahntrassen angesagt, wie sie von Deutschlands Radlern aus mir nicht ersichtlichen Gründen geliebt werden.

Das Eichsfeld hingegen gefiel mir wieder gut, soweit es sich durch den wasserfallartigen Regen hindurch erkennen ließ. Viel Grün, sehr ruhig; Fluch und Segen der Zonenrandlage. Mit Ohmgebirge und Dünwald waren zwei kleinere Höhenzuge zu queren, letzterer fühlte sich dank einiger Serpentinen sogar annähernd alpin an. Mühlhausen mit seinen stark befahrenen mehrspurigen Straßen ließ ich schnell hinter mir, um dem Nationalpark Hainich möglichst nahe zu kommen. Vor dem nächsten heraufziehenden Gewitter schaffte ich es noch nach Kammerforst, wo ich im Rennstieghotel Rettelbusch einfach, aber sehr freundlich unterkam.

Meine Abendunterhaltung war an diesem Tag übrigens ein ausgedehnter Plausch mit Herrn Zillich von der Hainich-Schmiede, der unter anderem wundervolle Jagdmesser aus Damaszenerstahl eigener Produktion anfertigt. Ich und mein Faible für klassische Handarbeit ...

130 km, 1300 Höhenmeter


Tag 4: Vom Rennstieg auf den Rennsteig

Klein, aber fein: Der Hainich-Nationalpark ist ein wundervoll verwunschenes Waldgebiet mit hübschen Überraschungen an jeder zweiten Weggabelung.

Die Betteleiche, nur eines von vielen zauberhaften Details.

An diesem Tag war ich sehr früh losgefahren, und als ich den Wald nach zwei gemütlichen Stunden durchquert hatte (meist auf dem Kammweg, der hier Rennstieg heißt), war der berühmte Baumkronenpfad leider noch nicht geöffnet. Also ging's auf beschaulichen Straßen und Forstwegen gleich weiter ins Thüringer Becken, zeitweilig in Begleitung eines schwer bepackten neuseeländischen Ruheständler-Pärchens ("Germany is such a great country for cycling"). Dort war wieder Improvisation gefragt, denn meine Karte verzeichnete nicht einmal die Fahrstraße hinauf zum Großen Inselsberg, geschweige denn die wundervolle Forst-Piste, auf die mich die Wanderwegweiser leiteten.

Die letzten Höhenmeter zum Inselsberg gehören zum Steilsten, was mir an asphaltierten Straßen jemals unter die Reifen gekommen ist. Passagenweise dürfte die Steigung näher an 40 denn an 30 Prozent liegen, dementsprechend war selbst Schieben eine Qual. Zum Lohn gab's ein Mittagessen mit prächtigem Panoramablick.

Weiter auf dem Rennsteig nach Osten. Anfangs noch sehr gut fahrbar, wurde die als Radweg ausgeschilderte Piste immer holpriger und ausgewaschener. Teils mochte das dem Wetter geschuldet sein, doch ist die Routenführung des Rennsteig-Radwegs generell oftmals ungünstig: Während Fußwanderer meist direkt über den Kamm gelotst werden, sollen Radfahrer häufig im großen Bogen hundert Höhenmeter runter und wieder rauf; wenn man aber auch auf diesen Umleitungen abschnittsweise schieben muss, dann könnte man auch gleich auf dem Fußweg bleiben.

Die letzten zwanzig Kilometer vor Oberhof dann waren einfach nur langweilig: mäßig befestigte Forststraße ohne nennenswerte Steigungen, immer im dichten Wald und ohne jede Aussicht. Auch den Wintersportort selbst ließ ich schnell hinter mir, da ich in einer Umgebungskarte ein Hotel nahe dem Beerberg verzeichnet gefunden hatte. Bingo: Der Berggasthof Schmücke liegt malerisch auf über 900 Metern und ist eine rundum nette (Rad-)Wandererherberge.

110 km (davon ca. 55 km offroad), 2000 Höhenmeter


Tag 5: Vom Thüringer Wald ins Fichtelgebirge

Man muss als Radfahrer nicht auf dem Rennsteig-Radweg bleiben: Folgt man den Landstraßen längs des Kamms nach Osten, dann mag zwar die Strecke länger werden, aber auf meist gutem Asphalt kommt man flott voran, und die Aussicht (auf Baumstämme) ist ohnehin überall die gleiche. Ein bisschen fühlte ich mich an diesem verregneten Vormittag wie auf einer Achterbahn, so häufig wechselten sich Anstiege und Gefälle unterschiedlichster Steigungsgrade ab. Sogar ein kurzer quasi-alpiner Abschnitt war dabei: Von Goldisthal war auf fünf Kilometern à 9 Prozent Steigung hinauf zum Becken des Pumpspeicherwerks strammes Klettern angesagt.

Hinab vom Kamm nach Sonneberg teils sehr steil, die Nebenstraßen wie ausgestorben und nicht einmal auf der Hauptstraße nennenswerter Verkehr. (Überhaupt sah ich in diesem Frühsommer kaum Wanderer oder Radler, wohin ich auch kam. Fürs Unterkunftsuchen gut, aber wenn ich mich in die Situation der Hoteliers versetzte, einigermaßen bedrückend.) Hinter Sonneberg mal auf der Bundesstraße, mal über Landsträßchen abkürzend bei mehr Regen als Sonne bis Kulmbach, von dort einer spontanen Idee folgend auf dem Weißmainradweg flussaufwärts bis Bischofsgrün.

Dieser Radfernweg ist einer der wenigen seiner Art, die mir bislang in Deutschland als leidlich brauchbar aufgefallen sind; zwar war auch hier die Ausschilderung noch nicht optimal (bei bedecktem Himmel war ich an einer Stelle froh, den Kompass dabeizuhaben), doch die Routenführung ist überwiegend sinnvoll, sehr verkehrsarm, landschaftlich reizvoll und dabei ohne allzu große Umwege. Das Finale nach Bischofsgrün bot dann noch einmal 100 Höhenmeter knackigen Anstiegs, bevor ich im Landgasthof Benker eine so freundliche Aufnahme (und so leckeres Essen) fand, wie man es sich als Radreisender nur wünschen kann.

155 km, 1700 Höhenmeter


Tag 6: Marathon durch den Oberpfälzer Wald

Gleich nach dem Frühstück wollte der Spieltrieb befriedigt sein, deshalb ging's auf einem teils steilen geschotterten Wanderweg zum Fichtelsee. Danach war das Fichtelgebirge auch schon fast zu Ende, und der Oberpfälzer Wald empfing mich, passend zum lichteren Mischwald und den ausgedehnten Ackerflächen, mit leidlich gutem Wetter. In dieser spärlich besiedelten, sanft hügeligen Landschaft mit ihren Burgruinen und Zwiebelkirchtürmen machte das Radfahren enormen Spaß, und trotz viel Knipserei und einer ausgedehnten Mittagspause im niedlichen Café "Leo" in Markt Floß schaffte ich ziemlich viele Kilometer.

Steigungen und Gefälle während des Nachmittags waren zahlreich (und mit stark wechselnden Steigungsgraden bis 20%), aber kurz; allerdings mit einer bemerkenswerten Ausnahme: Das Sträßchen über Althütte nach Furth im Wald bot recht ausgedehnte Schinderei und eine spektakuläre Abfahrt. Und dann sah ich den Bayerischen Wald vor mir und wusste, das war noch nicht genug für heute ... schließlich war dieser Tag der letzte der Tour, an dem noch eine Bergankunft möglich sein würde, und was gibt es Schöneres als Bergankünfte?

Also bei bereits sinkender Sonne mutig konzentrierte Kohlenhydrate nachgefüllt, über die wirklich brettharte Nebenstraße zur Höllhöhe, hinunter nach Arrach und ohne zu wissen, ob ich dort eine Unterkunft finden würde, mit letztem Schwung (eine halbe Stunde für 6 Kilometer und 350 Höhenmeter) die paar Serpentinen hinauf zum Ecker Sattel. Glück gehabt! Es gab einen Berggasthof, dessen Küche zwar eigentlich schon Feierabend hatte, aber der verschwitzte Radler bekam wie selbstverständlich noch eine ordentliche Portion Kasspatz'n vorgesetzt.

180 km, 2600 Höhenmeter


Tag 7: Vom Arber zur Ilz und an die Donau

Zum Abschied noch einmal Mistwetter: Bis ich mich von Eck aus nach Drachselsried runtergebremst hatte, fühlte ich mich trotz Regenjacke wie eingeweicht. Dankenswerterweise hing an einer überdachten Bushaltestelle eine sehr detaillierte Umgebungskarte, mit deren Hilfe ich eine brutal steile, schlaglöchrige und nicht durchgehend befestigte Nebenstraße unterhalb des Arbers nach Bodenmais fand. (Der schlimmste Regen wird erträglich, wenn man sich währenddessen einer schweren Steigung widmet.)

In diesem Stil hätte es gern bis Zwiesel weitergehen können, doch die Wanderweg-Beschilderung in dieser erstmals touristisch frequentierten Region (aber gut, es war auch Samstag) war so lausig, dass ich am Silberberg kapitulierte und die Hauptstraße nahm. Diese wurde gerade frisch asphaltiert und war zum Glück kurz nach meinem Einbiegen auf etliche Kilometer gesperrt worden, so dass es einigermaßen ruhig war. Nur der frische Belag machte die Reifen klebrig ... Ab Zwiesel war die Straße wieder frei, dennoch kaum befahren, und gerade so sacht ansteigend, dass mich der Ehrgeiz packte, ein paar Trekkingradfahrer ohne Gepäck stehenzulassen — der Spieltrieb :-)

Über Schönberg fuhr ich dann auf Nebenstraßen bis Tittling, wo ich der Versuchung nachgab, auf dem brauchbar geschotterten Radwanderweg weiter abwärts zu rollen. Bestimmt zehn Kilometer weit gerade so sacht abfallend, dass ich weder bremsen noch treten musste — Radtour mit Beinehochlegen. Das Beste an diesem Weg war jedoch das Radlercafé Waldenreuther Mühle, wo ich bei leckeren Crèpes mit Rauke aus dem eigenen Garten Kraft tankte für das, was noch kam.

Und zu meinem Erstaunen kam noch einiges: Einfach bloß an der Ilz runterrollen ging nicht, da gab's nur einen schlecht fahrbaren Wanderweg. Also folgte ich der ausgewiesenen lokalen Ilzradroute. Gute Sache das: Auf Sträßchen, die ich allein nie gefunden hätte, in munterem Auf und Ab steil und schmal bis zur Donau.

In Passau schließlich empfing mich eine unglaubliche Menschenmenge. Nein, nicht wirklich mich: Alles pilgerte zum Open-Air von Hubert von Goisern, und da mein Zug erst gegen Mitternacht abfuhr, kam auch ich noch in den Genuss dieser überaus originellen Alpin-Rockmusik.

Es bleibt die Erkenntnis, dass 20 kurze, steile Anstiege, über den Tag verteilt, nicht weniger herausfordernd sind als eine Alpenetappe mit ähnlichen Eckdaten über zwei Pässe der höchsten Kategorie. Und dass kein Berg so anstrengend ist wie eine Nacht im Liegewagen ...

115 km, 1600 Höhenmeter

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