Startseite
 

Kurzsichtig

Während sich die öffentliche Auseinandersetzung um die Pläne der Grünen zur Benzinpreiserhöhung auf Unwörter wie Wirtschaftsfeindlichkeit und Standortpolitik reduziert, bleibt das Grundproblem, die Ressourcenverknappung, weitgehend ausgeblendet. Zu Unrecht:

Sicher, in der Vergangenheit wurden des Öfteren Prognosen über die Verfügbarkeit fossiler Rohstoffe nach oben korrigiert, auch die Ölkrise war nur ein kurzes, praktisch folgenloses Zwischenspiel. Aber sollte uns unser Verstand nicht sagen, dass sich das nicht ewig wiederholen wird? Wir leben nachweislich auf einem kugelförmigen Planeten mit finitem Volumen. Wenn dereinst rund um den Globus die bekannten und die noch zu entdeckenden oberflächennahen Öllagerstätten erschöpft sind und unser Wirtschaften dann immer noch primär auf Einweg-Energiequellen basiert, werden die horrenden Förderkosten ohnehin den Benzinpreis signifikant nach oben regeln. Das mag noch zwanzig, fünfzig oder auch hundert Jahre dauern. Wenn wir aber dann erst die Entwicklung Energie sparender Techniken vorantreiben (und mit dem Drei-Liter-Auto wird es dann nicht mehr getan sein), ist äußerst wahrscheinlich, dass unsere Kindeskinder in ihrem Lebensstandard drastische Einschnitte in Kauf zu nehmen haben.

Nun ist die Dringlichkeit, Rohstoffe einzusparen, nicht auf den ersten Blick ersichtlich, denn die Dynamik von Wachstumsprozessen entzieht sich dem Verständnis auch gebildeterer Schichten. So nimmt sich etwa die Zunahme des Verbrauchs einer Ressource um 3 Prozent pro Jahr auf den ersten Blick recht moderat aus. Diese Wachstumsrate bedeutet jedoch, dass sich alle knapp 24 Jahre die insgesamt verbrauchte Menge verdoppelt. Mit anderen Worten: Aktuell verbraucht jede menschliche Generation so viel Erdöl wie sämtliche Generationen vor ihr zusammengenommen – kleine Zahlen, große Sprengkraft. Und eine solche Zuwachsrate ist nach Studien des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und der US-Environmental Protection Agency (USEPA) für den Verbrauch fossiler Brennstoffe durchaus realistisch.

Zugegeben: Das sind keine Fakten, die man täglich in der Zeitung liest. Doch zumindest politische Entscheidungsträger, die sich in gewissem Umfang für das Wohlergehen ihres Volkes verantwortlich fühlen sollten, können sich heute, immerhin rund ein Vierteljahrhundert nach dem ersten Bericht an den Club of Rome („Die Grenzen des Wachstums“), wohl kaum mehr hinter Unwissenheit verschanzen. Wer also seine Wähler wohlfeil vor den „bösen Ökos“ schützen möchte, die ihnen das Autofahren madig machen wollen, der tritt die Grundrechte kommender Generationen vorsätzlich mit Füßen.

Deshalb darf man von Politikern, deren geistiger Horizont weiter reicht als bis zum nächsten Wahltermin, erwarten, dass sie rechtzeitig Signale zum Umsteuern geben. Und diese Signale bestehen, daran lässt kaum ein Experte einen Zweifel, darin, dass der Energieverbrauch stärker zu besteuern ist, während im Gegenzug die Abgaben auf menschliche Arbeitsleistung reduziert werden müssen.

Ebenso unzweifelhaft würden solche Maßnahmen kurzfristig erhebliche Härten mit sich bringen. Das liegt im Wesentlichen daran, dass die westlichen Wirtschaftssysteme sich über Jahrzehnte auf die individuelle Motorisierung gegründet haben, die oft fälschlich mit Mobilität gleichgesetzt wird. Arbeiten und Wohnen wurden räumlich immer weiter getrennt, ländliche Regionen sind in puncto Arbeitsmarkt nur mehr weiße Flecken auf der Landkarte.

Langfristig sind also strukturelle Änderungen zum Zweck der Verkehrsvermeidung noch wichtiger als fiskalische Regulative zur Reduzierung des Energiekonsums. Bis dahin muss wohl derjenige, der mangels Infrastruktur zur Erwirtschaftung seines Lebensunterhalts auf das Auto angewiesen ist, in irgendeiner Form entschädigt werden. Aber je länger die längst überfälligen Reformen noch hinausgezögert werden, desto mehr potenzielle Härtefälle schieben wir vor uns her.

Doch auch Politiker sind nur Menschen, und die Erfahrung lehrt, dass Ehrlichkeit im Wahlkampf mit Liebesentzug an der Urne bestraft wird. Die Neigung, seine Wähler mit schöngerechneten Prognosen bei Laune zu halten, ist also nur zu verständlich. Zu dumm nur, dass Volksvertreters heimliche Hoffnung, der Karren möge erst nach dem eigenen Ableben gegen die Wand fahren, mit jeder Legislaturperiode unrealistischer wird.

Der Mensch klassifiziert sich selbst als Homo sapiens, den „Weisen“. Die kollektive Weigerung, unbequeme Tatsachen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn irgendwelche Schlüsse aus ihnen zu ziehen, ist allerdings kein sonderlich zwingendes Argument dafür.