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Radeln mit Anhang

Als wir im Frühjahr 2000 unseren Kinder-Fahrradanhänger kauften, konnten wir uns auf deutschen Straßen damit fast noch als Exoten fühlen, doch mittlerweile sind derlei Gespanne fast alltäglich geworden. Derweil ist unsere „Große“, die den Hänger anfangs in der Babyschale für sich allein hatte, mit fünf Jahren kaum mehr bereit, sich auch nur für kürzeste Strecken dort hineinzubegeben, und auch der Lütte fährt, solange er munter ist, lieber Laufrad. Es ist also abzusehen, dass wir den Weber Ritschie 2 bald nur noch als üppigen Kofferraum bei Campingtouren nutzen; Zeit für ein Fazit, was die Kinderbeförderung im Anhänger betrifft. Zunächst geht es um Kinderanhänger allgemein, danach um den Ritschie im Besonderen.

Kinderanhänger allgemein

Hauptgrund für unsere Entscheidung, statt eines oder mittelfristig zweier Fahrrad-Kindersitze einen Hänger zu kaufen, war unser Wunsch, auch weiterhin längere Strecken fahren zu können, und dafür erschienen uns Kindersitze eher ungeeignet: Gerade kleinere Kinder schlafen beim Passivradeln gern mal ein, und spätestens dann dürften sie im Hänger deutlich bequemer untergebracht sein.

Sicherer ist der zweispurige Hänger obendrein: Ein Rad mit per Kindersitz deutlich erhöhtem Schwerpunkt wird schnell kippelig, speziell das Ein- und Aussteigen des Kindes ist riskant. Aber selbst mit dem vergleichsweise hoch gebauten Ritschie müsste man schon vorsätzlich gravierende Fahrfehler machen, um das Gefährt aus der Balance zu bringen.

Außerdem begrenzt der Hänger nicht die sonstige Zuladekapazität des Zugfahrrades, im Gegenteil bieten zumindest große Modelle wie unseres selbst bei voller Besatzung noch zusätzlichen Stauraum – auch für Kuscheltiere und sonstige Lieblinge, die stets dabei sein sollen und im Kindersitz gern mal fliegen lernen.

Zum immer wieder zu lesenden Vorbehalt, dass Kinder im Hänger auf Auspuffhöhe unterwegs sind, wo die Luft schlechter ist als weiter oben, fällt mir nur ein, dass man dort, wo die Kontamination mit petrochemischen Kampfstoffen ein permanentes Problem darstellt, normalerweise sowieso nicht gern Rad fährt. Würden wir in der Innenstadt leben, dann wären unsere Rad-Routen mit oder ohne Hänger ohnehin an diese Problematik angepasst. (Generell scheint mir die Risikowahrnehmung bei Hänger-Besitzern oftmals selektiv und verzerrt zu sein: Nur zu häufig lässt man das Sonnenverdeck selbst auf Schotterpisten offen und setzt die Lütten dem Steinschlag aus; zum Ausgleich müssen die Zwerge in ihrer stabilen Fahrgastzelle überflüssigerweise einen Helm tragen und können den Kopf nicht mehr bequem anlehnen.)

Gemessen daran, was wir diesbezüglich befürchtet hatten, klappt die Kommunikation erstaunlich gut; man ist zwar weiter vom Kind entfernt, als wenn es im Kindersitz untergebracht ist, aber man kann sich durchaus unterhalten.

Generell sind unsere Erwartungen während der letzten fünf Jahre erfüllt worden, der Hänger hat sich im täglichen Kindergarten-Zubringerverkehr ebenso wie bei Tages- und Mehrtagestouren bestens bewährt. Dennoch haben sich einige unerwartete Aspekte erst im Laufe der Benutzung abgezeichnet:

So stellt ein Hänger schon mit halber Zuladung erhebliche Anforderungen an die Bremsanlage der „Zugmaschine“; insbesondere an die vordere Bremse, weil das selbst meist ungebremste Gefährt beim Verzögern das Hinterrad deutlich entlastet. Auf längeren Abfahrten kommt hinzu, dass sich wegen des verlängerten Bremswegs die übliche Technik, einfach laufen zu lassen und erst kurz vor der Kurve scharf anzubremsen, verbietet; durch kontinuierliches leichtes Bremsen aber laufen die Felgen sehr schnell heiß. Auf einer Tour im Allgäu mit nur einem Kind musste ich auf einer höchstens 10 Kilometer langen Abfahrt mehrfach anhalten, um die Felgen abkühlen zu lassen. (Das war einer der Gründe dafür, mein nächstes Reiserad mit tandemtauglichen Scheibenbremsen auszurüsten.)

Was den möglichen Aktionsradius mit Passagieren angeht, so haben wir im Laufe der Jahre festgestellt, dass man wirklich lange Strecken nur fahren kann, wenn das oder die Kinder schlafen. Auch im bequemsten Hänger wird es nämlich irgendwann langweilig, und man muss alle paar Kilometer einen Spielplatz oder zumindest eine tobefreundliche Stelle in der Natur ansteuern. Am besten ging es bei uns bis zum Passagier-Alter von etwa drei Jahren, danach wurden die Etappen wieder kürzer. – Sicherlich kann man auch mit größeren Kindern an Bord pro Tag hundert und mehr Kilometer fahren, aber meines Erachtens schmeichelt so etwas nur dem Ego der Eltern, während man den Kindern damit keinen Gefallen tut. Zuletzt sind wir dazu übergegangen, auf Reisen nur kurze Tagesetappen bis maximal 50 Kilometer zu absolvieren, und hatten beispielsweise noch Like-A-Bike und Bobbycar dabei, damit die Lütten sich auf ruhigen Wegen auch mal selbst bewegen konnten.

Die erste Mehrtagestour mit beiden Kindern (hier im Hellbachtal bei Mölln): statt Schlafsäcken und Zelt nun Laufrad und Rutschauto.

Regelrecht horizonterweiternd wirkt so ein Hänger im Hinblick auf Radwege. Nun bin ich bekanntlich ohnehin kein Freund dieser Zweiradgettos, aber wenn man sich doch mal herablässt, so einen Verkehrtweg zu benutzen, merkt man schnell, dass die meisten auch im unbeparkten Zustand nicht dafür gedacht sind, von überlangen und überbreiten Fahrzeugen frequentiert zu werden. Und wer gern außerorts auf beschilderten Radrouten unterwegs ist, sieht nach dem Ankuppeln plötzlich überall nur noch Drängelgitter. Zum Glück gibt's da diese Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO, die in den Anmerkungen zu Paragraph 2, Straßenbenutzung, die Radwegbenutzungspflicht für mehrspurige Fahrzeuge de facto aufhebt („Die vorgegebenen Maße für die lichte Breite beziehen sich auf ein einspuriges Fahrrad“) und deren entsprechende Abschnitte wir ausgedruckt und eingeschweißt im Hänger mitführen, um übereifrigen Verordnungshütern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Einige allgemeine Tipps, falls Sie gerade auf der Suche nach einem Kinderanhänger sind (eine Besprechung unseres Weber Ritschie 2 folgt hier):

Prinzipiell ist es sinnvoll, zumindest mal unterschiedliche Bautypen in natura gesehen zu haben; eine Kaufentscheidung nur anhand technischer Daten ist problematisch, wie wohl auch aus dem Folgenden hervorgeht. Ein kompetenter Ansprechpartner im Hamburger Raum ist Family Move in Norderstedt.

Katalogangaben zur Nutzungsdauer („Kinder bis 6 Jahre“ o.ä.) sind mit Vorsicht zu genießen. Unsere Kinder sind beide eher klein für ihr Alter, aber mit drei und fünf war's schon eng.

Zum Innenraum gehört auch die Frage, ob wirklich *nur* zwei Kinder reinpassen oder, hinter dem Sitz oder in einem besonders üppig bemessenen Fußraum, vielleicht auch noch eine Campingdecke und Sandspielzeug.

Die Qualität der Kupplungssysteme unterscheidet sich erheblich. Fester Halt und Langlebigkeit kann im Geschäft zwar nicht getestet werden, wohl aber die Handhabung. Zu klären ist auch, ob bei der Benutzung an mehreren Zugfahrrädern mehrere Kupplungsteile erforderlich und lieferbar sind. (All das sind Aspekte, die deutlich für die leider teure Weber-Kupplung sprechen.)

Tuchbespannung oder feste Bodenwanne? Eine feste Bodenwanne ist sehr angenehm, weil die Lütten leichter einsteigen können und der Hänger auch später als Kofferraum nutzbar ist. Der Gewichtsunterschied zu bespannten Hängern ist im Fahrbetrieb vernachlässigbar, denn außer dem leeren Hänger gehen noch ein Zugfahrrad, die Hängerbesatzung und etwaiges Gepäck in die Kalkulation ein; da fallen zwei, drei Kilo Differenz nicht mehr ins Gewicht. Der Gewichtsvorteil kommt allerdings zur Geltung, wenn der Hänger regelmäßig in den Keller getragen oder in die Bahn verladen werden soll; auch dürften bespannte Hänger typischerweise das kleinere Packmaß haben als solche mit Wanne. Zu einer festen Bodenwanne gehört übrigens zwingend entweder eine federnd aufgehängte Textil-Sitzbank oder aber eine (einstellbare) Fahrwerksfederung, sonst werden die Passagiere auf Wald- und Feldwegen durchgeprügelt.

Erhebliche Unterschiede gab es damals, als wir nach einem Hänger suchten, auch in der Qualität/Passgenauigkeit der Verdecke. Noch wichtiger als Regenschutz ist übrigens Sonnenschutz zusätzlich zum Fliegennetz. Der kommt standardmäßig in der Regel nicht mit, muss also improvisiert werden (können), etwa mit nach vorn/oben quer gespanntem Handtuch oder Stoffwindel.

Der Weber Ritschie 2 im Besonderen

Für uns kam nur ein Hänger mit fester Bodenwanne in Betracht, weil er, wenn er nicht mehr für den Kindertransport gebraucht wird, als „Kofferraum“ für Großeinkäufe und Campingreisen dienen soll und weil der starre Boden unseres Erachtens den Passagieren das selbstständige Ein- und Aussteigen erleichtert. Im Alltagseinsatz erwies es sich zudem als angenehm, dass sich Getränkeflecke, Schmutz von außen etc. ruckzuck rückstandsfrei entfernen lassen.

Der Ritschie wurde es nach ausgiebigen Vergleichen, weil die Konkurrenz, damals namentlich Leggero und Winther Dolphin, schon augenscheinlich in der Verarbeitungsgüte deutlich abfiel (z.B. Materialauswahl, Oberflächenbehandlung, Passgenauigkeit des Verdecks). Der Ritschie bot zum Kaufzeitpunkt einfach den besten Gegenwert für allerdings sehr viel Geld, und wir haben den Kauf nicht bereut.

Das bedeutet allerdings nicht, dass der Hänger ab Werk perfekt wäre. So sollte man z.B., wenn man nicht die volle Zuladung von 50 kg ausnutzt, die serienmäßigen schwarzen Federelemente gegen die roten 25-kg-Puffer tauschen. Mit nur einem (Klein-)Kind und wenig Gepäck läuft er dann deutlich ruhiger. Das Federungsverhalten ist bei Benutzung der passenden Elastomere für mein Empfinden extrem gut: kein Wippen, kein Aufschaukeln – einfach nur ruhige Straßenlage auch auf schlechten Wegen.

Zum Lieferumfang gehörten seinerzeit 5 oder 6 Ersatz-„Spannpilzgummis“ fürs Verdeck. Davon sollte man gleich beim Kauf noch ein Dutzend ordern, weil sie schnell reißen. Die spätere Nachbestellung von Kleinteilen direkt bei Weber ist allerdings auch unproblematisch.

In die Rubrik „teures, aber sinnvolles Zubehör“ gehört der Jogger-Kit. Nicht nur, dass man im Urlaub gleich noch einen geräumigen Kinderwagen dabei hat; ich ließ anfangs den Schiebebügel nur aus Bequemlichkeit auch im Hängerbetrieb dran und habe mich mittlerweile daran gewöhnt, mit dem Bügel beim Parken und an Drängelgittern bequem rangieren zu können. Allerdings sollte man sich verkneifen, den Ritschie am Griff hochzuheben: Dafür ist die Halterung nicht ausgelegt. Zum Fixieren eines Like-A-Bike mit zusätzlichen Spannriemen reicht es aber. Und leider ist die Rastung der Radhalterung hinten, um das dritte Rad immer dabeizuhaben, undefinierbar; man tut gut dran, das Rad dort zusätzlich mit einem Packriemen zu sichern.

Unser Eindruck vom Sitzkomfort ist sehr ordentlich. Fußraum, Sitztiefe, Verstellbarkeit bis zur Schlafposition, sogar während das Kind draufsitzt – das alles haben wir noch nirgends besser gesehen.

Auch die Befestigung einer Babyschale (Maxi-Cosy-Typ) ist einfach und bombensicher: Griff nach hinten und mit dem Hosenträgergurt fixieren, dann den Sitz nach unten mit einem durch zwei Ösen am Wannenboden gefädelten Spannriemen (wie man ihn zum Parkettverlegen nimmt) verzurren (der Riemen bleibt, solange man die Schale nutzt, einfach drin). Für mehr Komfort fürs Baby kann man die Schale auch weich auf einer mehrfach gefalteten Wolldecke ablegen, Platz dafür ist reichlich vorhanden. Wenn allerdings das Baby der zweite Passagier ist, wird die spezielle Anhänger-Babyschale Pflicht.

Die sündhaft teuren Sitzbezüge haben wir uns verkniffen und lieber selbst mit Fleecestoff und Schaum welche genäht. Man muss dabei nur Aussparungen für die Gurte vorsehen und die Flächen großzügig absteppen, damit die Füllung nicht verrutscht.

Die beiden Verdecke erfüllen ihren jeweiligen Zweck einwandfrei. Im Sommer braucht man allerdings noch zusätzlichen Sonnenschutz; den improvisieren wir billigst mit einem Schnuffeltuch (Stoffwindel), das unter das Fliegennetz gespannt wird. Das Schönwetter-Verdeck ist anders als das Regendach leider sehr dunkel, weshalb wir's nach hinten mit aufgenähtem Reflexmaterial getunt haben. Die Seitenwände sehen im fünften Jahr nicht mehr schön aus (was primär auf den energischen Einsatz unserer beiden Testexperten für Materialgüte und Verschleißfestigkeit zurückzuführen ist). Glücklicherweise harmoniert das Tesa-Gewebebandgelb Ton in Ton.

Als Weber-Produkt kommt der Ritschie natürlich mit der Weber-Kupplung, deren Gegenstück in der Seitenständer-Variante bei uns an drei Rädern montiert ist, zwei Diamant- und einem Mixed-Rahmen mit dritter Strebe. Wenn man sich vom Preisschock erholt und die Ständermontage einmal gemeistert hat, muss man nur noch ein bisschen auf Sauberkeit der beweglichen Teile achten und hat ansonsten viel Freude mit der Kupplung: Sie ist schnell, narrensicher in der Handhabung und sehr zuverlässig. Etwas ärgerlich war, dass der Fangriemen, der als zusätzliche Sicherung dient und bei uns trotz aller Sorgfalt nach anderthalb Jahren ausfaserte, damals als Ersatzteil nur komplett mit Schraube, Schließe und dem Bodenstück für die Deichsel zu haben war – sehr teuer! Eventuell lässt sich da aber mit einem kräftigen Riemen aus dem Bergsportladen was improvisieren.

Fazit: Trotz der paar Unvollkommenheiten sind wir mit dem Ritschie sehr zufrieden, nur der extrem hohe Preis ist wirklich ärgerlich – man muss sich darüber klar sein, dass man im Guten wie im Schlechten das Pendant zur Stuttgarter S-Klasse bewegt. Allerdings sieht man ja jedes Jahr mehr Gespanne auf den Straßen (nur noch auf Almen und Gipfeln werden wir begafft wie vom anderen Stern), so dass ich mir vorstellen könnte, dass in absehbarer Zeit Stückzahlen und Konkurrenzdruck die Preise auch hochwertiger Hänger in freundlichere Regionen regeln ...

Zufriedene Ritschie-Passagiere, im Fahrbetrieb allerdings durch eine dritte Kopfstütze getrennt.