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Genf — Route des Grandes Alpes — Nizza — Provence — Genf (1996)

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14. Etappe: Annot — Barrème — Digne — St. Etienne — Banon (139 km)

Der Tag beginnt mit 70 Kilometern Asphaltfresserei; bei Nieselregen rollt es so gut, dass ich erst hinterher auf der Karte bemerke, drei Pässe um 1000 Meter überquert zu haben. In Digne ein langer Stop nebst Plaudern mit einem Einheimischen, der mich (meine Ausrüstung weckt wohl sein Fernweh) zum Kaffee einlädt. Die zweite Hälfte des Tages wird zum Glück landschaftlich schöner: Die Montagne du Lure weckt wieder Erinnerungen an Südschottland, aber anders als dort durftet es rundum nach Lavendel.

 

15. Etappe: Banon — Sault — Mont Ventoux— Vaison-la-Romaine — Bollène — Pont-St.-Esprit (137 km)

Mittlerweile ist nach zwei Stunden Fahrt ein weiterer Café au lait obligatorisch. Heute in Sault, wo zudem ein hübscher Wochenmarkt zum Schlendern einlädt. Aber nicht zu lange, schließlich habe ich wahre Schauergeschichten über den Mont Ventoux gehört.

Wie sich sehr bald herausstellt, sind sie alle wahr. An den wenigen Stellen im Anstieg, an denen der Wind von hinten kommt, schiebt er mich mit 20 km/h die Rampen hoch. Leider kommt er meist von vorn. Den üblen Bedingungen zum Trotz sind zahlreiche Radler hier unterwegs, wenn auch meist ohne Gepäck.

 
 

Auf dieser Passhöhe bin ich ziemlich froh über die Gastronomie, um mich aufzuwärmen. Die Abfahrt wird dann fast so schwierig wie der Anstieg: es ist permanente Konzentration erforderlich, um nicht von der Straße geweht zu werden.

Kaum bin ich von der Passstraße runter, wird es wieder warm; in Vaison-la-touristique gibt es erst mal ein Eis. Der Rest des Tages ist entspanntes Rollen durch die Weinanbaugebiete der Rhône; nach wenigen Kilometern ist der Ventoux beim Blick zurück nur noch eine unscheinbare Kuppe am Horizont.

 
 

Zum unerwarteten zweiten Höhepunkt der Etappe werden dann Herberge und Gastronomie dieses Abends: Kurz hinter Pont-St.-Esprit niste ich mich in einem privat bewirtschafteten Schloss aus dem 14. Jahrhundert ein. Daher ausnahmsweise das dritte Foto dieses Tages:

 
 

Hier habe ich den ersten Stock für mich allein, teile mir den Raum nur mit antiquarischen Kleinoden wie „Le Procès de Condamnation de Jeanne d’Arc“ (nein, ich lese es in dieser Nacht nicht komplett). Bevor ich in einer spektakulär antiken Badewanne den Staub der Landstraße abspülen kann, lerne ich noch die Vokabel „clé à molette“ und betätige mich mit ebendiesem Rohrschlüssel als Klempner.

Außer dem Schlösschen umfasst die Ortschaft nur wenige Häuser. Eines davon beherbergt allerdings einen Edel-Italiener, bei dem ich mich für die Schinderei am Ventoux mit einem Menü belohne, das jeden einzelnen seiner 250 Franc wert ist.

 

16. Etappe: Pont-St.-Esprit — Gorges de l’ Ardèche — Ruoms — Aubenas — Col des Quatre Vios — St. Pierreville (134 km)

Prima Frühstück mit Madames selbst gemachter Konfitüre aus Früchten des Schlossgartens. Die anschließende Vormittagstour längs der Ardèche wird eher enttäuschend: Vom Boot aus mag das Geschlängel ganz reizvoll sein, aber auf der miserablen Asphaltpiste sieht man fast nichts vom Fluss. Wenn nicht die Grotten wären, gäbe es aus meiner Sicht keinen Grund, einen Abstecher hierher zu machen. Okay: Wenn man genau hinguckt, sieht man irgendwann hinter Kanustapeln einen Natursteinbogen namens Pont d’Arc. Aber ehrlich gesagt sieht er auf Bildern meist besser aus.

Richtig schön wird es dagegen wieder hinter Aubenas, genauer ab Vals-les-Bains. Ein paar steile Haarnadeln führen aus dem Dorf hinaus und unvermittelt in die Wildnis. Gut, hier und da sieht man mal ein Haus, aber diese Ecke der Monts du Vivarais ist, höchst erstaunlich angesichts ihrer enormen landschaftlichen Reize, ziemlich verschlafen. Entsprechend niedrig ist auch der touristische Erschlossenheitsgrad: Ich würde auch schon zwanzig Kilometer früher ein Zimmer nehmen als erst in St. Pierreville, es gibt aber keins.

 

17. Etappe: St. Pierreville — La Voulte — Crest — Beaufort-sur-Gervanne — Col de la Bataille — St. Laurent-en-Royans (150 km)

Auf gleichbleibend niedlichen, kaum befahrenen Schlängelstraßen runter an die Rhône, ein Stündchen langweiligen Kilometerfressens bis Crest, und dann kommt bereits der nächste Höhepunkt: das Vercors. Auch hier tobt nicht eben das pralle Leben, so dass man sich beim geruhsamen Rollen auf mäßig steilen Bergsträßchen wunderbar aufs Panorama konzentrieren kann.

Geheimtipp fürs Mittagessen: kurz hinter Beaufort-sur-Gervanne in der ersten Serpentine rechts runter zu einer kleinen Ferme/Gîte (ich bin mir, sieben Jahre später, nicht völlig sicher, aber es könnte diese hier sein). Die ist ökologisch bewirtschaftet, hat auch ein paar Zimmerchen (für mich ist es heute leider noch zu früh), leckere Rohkost mit Vollkornbrot und für nachher einen Swimmingpool.

So gestärkt, geht es über eine Hand voll Pässe um 1000 Meter durch großartige Landschaften. Auch hier gestaltet sich die Suche nach einer Unterkunft langwierig, letztlich wird es ein sehr hübsches Privatzimmer in St. Laurent-en-Royans, zweieinhalb Kilometer Fußmarsch entfernt vom nächsten geöffneten Restaurant.

 

18. Etappe: St. Laurent-en-Royans — Grandes Goulets — Col de Rousset — Die — Châtillon-en-Diois — Col de Menée — Monestier — Grenoble (158 km)

Der Tag beginnt mit einem nicht nur wegen der Anstrengung atemberaubenden Anstieg durch die Grandes Goulets:

 
 

Ein grandioses Sträßchen; nur schade, dass man so bald oben ist.

Die weitere Tour durchs Vercors ist trotz des strahlenden Sonnenscheins einigermaßen bedrückend, weil verschiedentlich Schilder auf Massaker verweisen, die hier während des Zweiten Weltkriegs von deutschen Soldaten verübt wurden. Im Anstieg zum Col de Rousset überhole ich nahezu das gesamte Fahrerfeld eines Amateur-Straßenrennens, das vorhin im Hochtal an mir vorbeigesaust war; nach knapp drei Wochen Trainings mit Gewichten hintendrauf darf ich mich wohl für den virtuellen Träger des Punktetrikots halten :-)

Mittags zieht es leider zu, und ich orientiere mich wieder nördlich Richtung Grenoble in der Hoffnung, dort eher eine Unterkunft zu finden. Es gibt denn auch mehr Hotels als weiter westlich, aber leider alle „complét“. Ortseingangs Grenoble habe ich keine Lust mehr auf Stadtverkehr und nehme das Erstbeste, hier die Jugendherberge. Die gute Nachricht: Es gibt einen billigen Imbiss um die Ecke …

 

19. Etappe: Grenoble — Montmélian — Albertville — Flumet — Col des Aravis — Bonneville (165 km)

Morgens sind die Gipfel weiter verhangen, die Wetteraussichten bescheiden. Erst mal Kilometerfressen also auf der Hauptstraße nach Albertville. Ab Ugine wird es zwar fahrerisch wieder abwechslungsreich, aber auch kalt und regnerisch. Trotzdem: So ganz ohne einen letzten Höhepunkt verabschiede ich mich für diesmal nicht von den Bergen. Deshalb gönne ich mir zumindest noch den Col des Aravis, der bei besseren Bedingungen ein ausgesprochen attraktiver Vertreter seiner Zunft wäre. Immerhin sind die letzten paar Kilometer vor dem Tal wieder trocken und die kurvenreiche Straße perfekt ausgebaut, so dass die finale Abfahrt der Tour noch einmal richtig Freude macht.

 

Epilog: Bonneville — Genf (32 km)

Pas plus Richard Virenque, der Endspurt ist eine Flachetappe. Genf ist nicht ganz so schlimm wie Nizza, ich lande „nur“ ein Mal auf der Autobahn.

Das kann allerdings nicht verhindern, dass mir diese Reise in allerbester Erinnerung bleibt, und wer genug Zeit und Sitzfleisch für immerhin 2400 km mitbringt, dem kann ich die Route zum Kennenlernen denkbar abwechslungsreicher Bergregionen wärmstens empfehlen.

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