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Genf — Route des Grandes Alpes — Nizza — Provence — Genf (1996)

Teil 1 2 3

 

Prolog: Genf — Sciez (31 km)

Start- und Endpunkt der Tour ist Genf, das mit der Bahn sehr gut zu erreichen ist. Um die Anreise einigermaßen kurz zu halten, nehme ich bis Basel den ICE und transportiere das Rennrad teilzerlegt in einer geeigneten Tasche, die in Genf im Schließfach bleibt (damals 3,— SFr pro 24 Stunden).

Um 17 Uhr ist die Maschine abfahrbereit aufgebaut, und ich möchte zumindest aus der Stadt raus und Bergpanoramen sehen. Außerdem habe ich nicht allzu viele SFr eingetauscht und will heute noch über die Grenze kommen. Da ich über weite Strecken in Seenähe bleibe, ist Sciez, das erste Dorf in Frankreich mit Herberge und Pizzeria, flott erreicht.

 

1. Etappe: Sciez — Col de Cou — Mieussy — Le Praz-de-Lys — Cluses — Sallanches (111 km)

Wie immer in der ersten Nacht eines Bergurlaubs kann ich kaum schlafen vor Vorfreude. Trotzdem komme ich den ersten Pass gut rauf: Knapp 20 km und 700 bis 800 Höhenmeter zum Col de Cou in rund einer Stunde. Dann drossle ich aber das Tempo, um die Landschaft zu genießen, die selbst hier im Vorgebirge schon spektakulär ist. Über die unschwierigen Cols de Terramont und de Jambaz geht es durch eine nette Schlucht nach Mieussy.

Mittagspause mit Obst, Baguette und Schokolade; Stärkung für den knackigen Anstieg nach Le Praz-de-Lys, der sich mit Serpentinen und Lawinengalerien fast wie ein erwachsener Pass präsentiert. Die restlichen 40 Kilometer sind Ausrollen; das Hotel in Sallanches (nahe am Bahnhof) hat für mich ein Zimmer mit Blick auf den ortsansässigen Wasserfall und radlerfreundliche Frühstückszeiten ab sechs Uhr (ich nehme halb sieben).

 

2. Etappe: Sallanches — Chamonix — Col des Montets — Lac du Vieux Emosson — Col de la Forclaz — Martigny — Orsières (125 km)

An die Strecke bis Chamonix habe ich kaum mehr Erinnerungen (viel Verkehr, wenig Aussicht). Bei der Abfahrt vom leichten Col des Montets sehe ich hoch über mir eine Staumauer und bekomme Lust auf einen Abstecher, der sich als der Höhepunkt des Tages herausstellt. Es geht (unmittelbar hinter der Grenze) sehr steil bergauf über Finhaut zum Stausee Lac d’Emosson. Dort, auf 1970 m, wäre dann für Autos Schluss, mit dem Rad kann man sich jedoch auf der nochmals steileren Piste zum rund 250 Meter höher gelegenen Lac du Vieux Emosson vergnügen (das Gepäck lasse ich wohlweislich im Info-Häuschen am unteren See).

 
 

Das Ganze bringt erstens sehr viel Fahrspaß und zweitens prima Blicke hinüber zum Montblanc-Massiv.

Der Rest ist Routine, aber schön. Der Col de la Forclaz hält keine nennenswerten Schwierigkeiten mehr bereit, durch die Weinberge geht es hinab nach Martigny und von dort noch ein paar Kilometer nach Süden. Das Hotel in Orsières ist nicht übermäßig teuer, hat eine sehr ordentliche Küche und natürlich Fendant auf der Weinkarte.

 

3. Etappe: Orsières — Großer St. Bernhard — Aostatal — Kleiner St. Bernhard — Seez (148 km)

Auf der Route des Grandes Alpes ganz klar die Königsetappe, frühes Aufbrechen ist sinnvoll. Die Tour fängt mit einer langgezogenen, aber unschwierigen Auffahrt zum Großen St. Bernhard an, an die sich eine wahrlich grandiose, kaum enden wollende Abfahrt ins Aostatal anschließt. Das folgende flache Zwischenstück von rund 33 km, bis es dann endlich wieder bergauf geht, zehrt allerdings (Mittagshitze, kaum Luftbewegung) gehörig an den Kräften, so dass der Kleine St. Bernhard sich mehr in die Länge zieht, als grade mal 1200 Höhenmeter eigentlich müssten: Ich bin geschlagene zweieinhalb Stunden für 23 km unterwegs und oben ziemlich geschlaucht. Immerhin ist die Abfahrt dann wieder eine hübsche Schlängelei auf allerdings rauem Belag.

Die Unterkunft in Seez ist nicht prickelnd. 2001 werde ich feststellen, dass das Angebot in Bourg St. Maurice sehr viel üppiger ist; die drei Kilometer Umweg lohnen sich also in jedem Fall.

 

4. Etappe: Seez — Col de l’Iseran — St. Michel de Maurienne (121 km)

Es geht ins Hochgebirge, und wie! Bis Val d’Isère macht die Sache zwar nicht allzu viel Spaß, weil die Piste ausgebaut ist wie eine Autobahn und auch entsprechend von Schwerverkehr besucht. Aber hinterm Dorf wird es dann umso schöner. Serpentinen wie aus dem Lehrbuch in einer kargen, spektakulären Landschaft mit unglaublichen Panoramen. Die Straße ist eng, nicht zu steil und auch im Hochsommer nicht allzu befahren — nur Radler sieht man reichlich. (Auch nach inzwischen über hundert Alpenpässen ist der Iseran noch einer meiner Favoriten.)

 
 

Wer sich oben nach 45 Kilometern Kletterei angesichts der bevorstehenden 75-km-Abfahrt eine Pause gönnen will, sollte diese nicht zu üppig ausfallen lassen. Der Weg ins Tal der Maurienne hinab ist nämlich eine Schinderei. Nur die ersten 10 Kilometer rollt es von selbst; ab Bonneval erlebe ich (wie seither jedes Mal auf dieser Strecke) Gegenwind der brutalen Sorte, nicht mal bei kurzen 10-prozentigen Gefällstrecken muss ich bremsen. Dazu kommt dann noch ein kurzer, gemeiner Gegenanstieg; alles in allem ist hier die Abfahrt die härtere (und längere) Arbeit als der Anstieg. Aber das Hotel ist anständig, und ein Zimmer mit Blick auf das Fort du Télégraphe habe ich auch, um mich auf morgen zu freuen.

 

5. Etappe: St. Michel — Col du Télégraphe — Valloire — Col du Galibier — Briançon (75 km und ein halber Pausentag)

Der Tag fängt gut an: mit 850 gleichmäßig zu fahrenden Höhenmetern auf perfekter Straße durch einen schönen Wald. Hinter dem Pass sackt die Straße nur kurz ab nach Valloire (sehr touristisch hier, trotzdem sollte man zumindest für den Wasservorrat noch mal halten), um sich dann zu einem neuerlichen landschaftlichen Höhepunkt aufzuschwingen, der sich hinter dem Iseran nicht zu verstecken braucht. Das Massif des Ecrins ist so wild und karg, dass ich mich eher auf dem Mond wähne denn in den Alpen, und auch die Straße zum Galibier macht enorme Freude. Sie fühlt sich zwar steiler an als die gestrige, lässt sich aber dennoch gut fahren; und man ist als Radler wieder entre nous.

Auf der Abfahrt vom „Dach der Tour“ touchiert man den Lautaret-Pass, bekommt also einen 2000er quasi geschenkt. Und von dort bis Briançon muss ich mich fast zwingen, ruhig zu rollen und die Landschaft anzuschauen, weil die sanft abfallende, perfekt ausgebaute Straße geradezu um Hochgeschwindigkeits-Orgien bettelt: Sie fährt sich dank weniger, weit geschwungener Kurven so komfortabel, dass selbst bei Dauertempo 60 noch Muße fürs Panorama bleibt.

Briançon ist trotz seiner Größe gut besucht, ich finde erst im zweiten Hotel ein Bett. Wer in einer Gruppe unterwegs ist oder übers Wochenende hier ankommt, sollte unbedingt vorbuchen! Mit seiner entzückenden Altstadt und dem üppigen Gastro- und Hotel-Angebot drängt sich Briançon allerdings trotz der Kürze der Etappe als Unterkunftsort auf, zumal es auf der Route des Grandes Alpes vor dem Refuge unter der Izoard-Passhöhe nichts Nennenswertes mehr gibt.

 

6. Etappe: Briançon — Château-Queyras — Abstecher zum Belvédère du Cirque unterhalb des Mont Viso — Guillestre — Ste. Marie-de-Vars (124 km)

Der Izoard ist eine dieser kleinen Pretiosen, auf denen sich dem Auge alle paar hundert Meter etwas Neues bietet: unten herum lichter Nadelwald, im oberen Bereich karg und nach Süden hin geradezu bizarr mit seinen Felsformationen namens Casse Déserte.

 
  Dank vieler Serpentinen ist das Ganze zudem höchst lustvoll zu fahren. Aber auch mit Muße sind die gut 20 km zur Passhöhe in unter zwei Stunden erledigt. Da ich insgesamt gut im Plan bin, erlaube ich mir im Tal heute wieder einen Abstecher: Die Karte weist im Parc Regional du Queyras, den ich jetzt durchfahre, einen Belvédère, also Aussichtspunkt, unterhalb des Mont Viso aus, den ich mir nicht entgehen lassen möchte. Dieser Teil der französischen Alpen ist weniger schroff und karg als etwa die Iseran-Region, und der schiefrige Glanz der Felsmassive verleiht der Landschaft des Queyras einen ganz eigenen Reiz. So lohnt sich die Schwitzerei auf zuletzt unbefestigter Piste bis hinauf auf 2100 Meter nebst anschließendem Rückweg auf gleicher Strecke (insgesamt macht der Umweg gut 60 km aus).
 
 

Die weitere Abfahrt nach Guillestre ist dann unerwartet spannend, weil teils eng und hoch über einer Schlucht geführt. Da das Wetter im Kippen begriffen ist, biege ich im Tal gleich Richtung Vars-Pass ab und schaue, wie weit ich heute noch komme. Letztlich wird es, schon im Regen, Ste. Marie-de-Vars mit der ausgesprochen radlerfreundlichen „Vieille Auberge“.

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